Organisatoren: Christian Bär (Potsdam), Bernhard Hanke (Augsburg)
Viele geometrische Invarianten kommen in zwei Geschmacksrichtungen daher; einmal in einer kombinatorisch-topologischen Version und einmal in einer geometrisch-analytischen. Das vielleicht bekannteste Beispiel hierfür ist die Kohomologie einer Mannigfaltigkeit. Sie kann kombinatorisch über Triangulierungen definiert werden oder analytisch mit Hilfe von Differentialformen. Das deRham-Theorem sagt uns dann, dass diese beiden Versionen der Kohomologie übereinstimmen. Der Gegenstand dieses Blockseminars kann als Verfeinerung hiervon verstanden werden. Wir werden die (kombinatorische) Reidemeister-Franz-Torsion kennenlernen als auch die analytische Torsion. Nachdem wir ihre Eigenschaften und einige wichtige Anwendungen studiert haben, widmen wir uns dem Beweis des Cheeger-Müller-Theorems, das die Gleichheit dieser beiden Größen beinhaltet.
Die erforderlichen Vorkenntnisse variieren je nach dem übernommenen Vortrag. Die ersten Vorträge sind tendenziell eher für Topologen, die späteren eher für Differentialgeometer geeignet.
Jeder Vortrag dauert 60 Minuten plus Diskussion. Aus Ermangelung einer Tafel werden die Vorträge mit zwei Overheadprojektoren gehalten. Wichtig ist hierbei, dass die Folien nicht vorbereitet mitgebracht werden, sondern - wie an einer Tafel - während des Vortrags live beschrieben werden.
Das Seminar fand im Schloss Gollwitz nahe Brandenburg an der Havel statt. Anreise war am Sonntag, dem 3.7.2016 zum Abendessen, die Abreise am Freitag, dem 8.7.2016 nach dem Mittagessen.
Vortragsthemen: (eine pdf-Version befindet sich hier)
0. (Bernhard Hanke) Einführung
Reidemeister-Franz-Torsion
1. (Marco Benini) Konstruktion der Torsion
Definition der Reidemeister-Franz-Torsion ([7], Abschnitt 3 bis Seite 583 Mitte; für uns reicht zunächst der Spezialfall des Körpers P), Invarianz unter Unterteilung ([7], Theorem A, mit Beweis in Abschnitt 4 bis S. 587 unten). Anwendung: Definition der Torsion für glatte Mannigfaltigkeiten (mit Hilfe des Satzes von Whitehead [16] oder [11, §7] (ohne Beweis): Je zwei C1-Triangulierungen einer glatten Mannigfaltigkeit besitzen eine gemeinsame Unterteilung.)
2. (Moritz Meisel) Anwendung 1: Klassifikation der Linsenräume
Konstruktion der dreidimensionalen Linsenräume mit ihrer CW- und simplizialen Struktur ([7], S. 576 Mitte bis 577 oben). Homotopieklassifikation der Linsenräume ([2], Theorem 10.14 auf S. 365 und Example 11.17 auf S. 486, vgl. auch [7], S. 577 Mitte). Berechnung der Torsion der Linsenräume ([7], S. 583 Mitte bis 584 oben). Anwendung: L(7,1) und L(7,2) sind zwar homotopieäquivalent, aber kombinatorisch nicht äquivalent und somit nicht diffeomorph. Darstellung der kombinatorischen (d.h. Diffeomorphie-) Klassifikation der Linsenräume, siehe [7], S. 577 Mitte, Theorem 11.1 in [4] und [14]. Je nach Zeit kann der Beweis nach [4], Theorem 11.37 skizziert werden.
3. (Eric Schlarmann) Anwendung 2: Widerlegung der Hauptvermutung
Beweis von Theorem 1 und 2 in [7] (für n>4 d.h. in [7], S. 578 Mitte, genügt der Transversalitätssatz von Whitney). Der Beweis von Theorem 1 folgt aus [7], Abschnitt 2 bis S. 578 unten. Der Beweis von Theorem 2 folgt aus [7], S. 584 zusammen mit den vorhergehenden Vorträgen.
4. (Alexei Kudryashov) Anwendung 3: Torsion und Alexanderpolynom
Für das Komplement einer tubularen Umgebung eines Knotens in S3 besteht ein Zusammenhang von Reidemeister-Franz-Torsion dieses Komplementes und dem Alexanderpolynom des Knotens, siehe [8], Lemma 4 und Theorem 4. Zusammen mit dem Dualitätssatz für die Torsion, [8], Theorem 3 (dessen Beweis je nach Zeit skizziert werden kann), folgt die Symmetrie des Alexanderpolynoms, vgl. [15].
5. (Benedikt von Seelstrang) Whitehead-Torsion I
Die Definition der Whitehead-Torsion eines endlichen zusammenhängenden CW-Paares (K,L) (L Deformationsretrakt von K) mit Werten in der Whiteheadgruppe Wh(π1(K)) der Fundamentalgruppe von K in Abschnitt 7 aus [9] (mit den nötigen Definitionen aus vorherigen Abschnitten) soll überblicksartig dargestellt werden. Beispielhafte Resultate zur Berechnung von Whiteheadgruppen Wh(π), vgl. [9], S. 373 unten, [4], S. 332 und Wikipedia.
Definition der Whitehead-Torsion einer Homotopieäquivalenz (siehe [9], S. 382f). Das zentrale Theorem der Whitehead-Theorie besagt, dass diese genau die Obstruktion zur einfachen Homotopieäquivalenz ist, siehe Seiten 325 und 326 und Theorem 11.31 in [4] (Überblick). Anwendung/Ausblick: Der s-Kobordismus-Satz (Theorem 11.38 in [4]).
6. (Christopher Wulff) Whitehead-Torsion II
Zusammenhang zur Reidemeister-Franz-Torsion in [9], Seiten 386 bis 388 oben in Abschnitt 8 (mit Example 1). Die "First Procedure" liefert unsere alte Form der Torsion in der multiplikativen Gruppe F∗/±h(π) (bzw. deren Kehrwert), die "Second Procedure" stellt den Zusammenhang zu [13], [3] und [10] her. Man beachte, dass τ(C')∈K1(ℝ)=(ℝ+,⋅,1) gleich (dem Kehrwert) der früher definierten Torsion für den (zunächst azyklischen) ℝ-Kettenkomplex C∗=ℝn⊗Mn(ℝ)Mn(ℝ)⊗πC∗(K,L) ist. Die nachfolgende Definition kann jedoch leicht auf den Fall verallgemeinert werden, dass C∗ nicht azyklisch ist, sondern Basen (bzw. Volumina) in den Hk(C∗) ausgezeichnet werden (z.B. durch Hodge-Theorie). Mit dieser Vorbereitung soll der Zusammenhang zu [13], Abschnitt 1 bis S. 148 Mitte hergestellt werden.
Analytische Torsion
7. (Jonas Rungenhagen) ζ-Funktion eines Laplace-Typ-Operators
Zunächst Zusammenfassung ohne Beweis zu Diskretheit des Spektrums, Existenz des Wärmekerns und seiner asymptotischen Entwicklung [1, 2.2-2.5]. Dann im Detail die ζ-Funktion diskutieren [1, Prop. 2.37 und Abschnitt 9.6].
8. (Christoph Stephan) Konstruktion der analytischen Torsion
Quelle: [13], Abschnitt 1 ab S. 148 Mitte. Wichtig ist die Motivation dieser Definition über den kombinatorischen Laplace-Operator auf C∗(K,O) ab S. 149 Mitte. Formulierung der Ray-Singer-Vermutung über Gleichheit der kombinatorischen und der analytischen Torsion (Ende von Abschnitt 1 in [13]).
9. (Oliver Lindblad Petersen) Beispiel: Analytische Torsion des Kreises
Bestimmung von Reidemeister-Franz und Ray-Singer-Torsion für K=S1 für den Gruppenhomomorphismus π1(S1)=(ℤ,+,0)→(S1,⋅,1)=SO(2), 1→exp(2πia), 0<a<1, d.h. C∗=ℝ2⊗π1C∗(S1). Die Reidemeister-Franz-Torsion dieses Kettenkomplexes (in der Version von [9]) ist gleich 4sin2(aπ). Die analytische Torsion kann wie in [12], §4.3 berechnet werden. Leider gibt es dort Schreibfehler. Anleitung: Wir identifizieren ℝ2=ℂ und erhalten ein triviales Bündel S1×ℂ→S1 mit flachem Zusammenhang und Holonomie exp(2πia). Der Hodge-Laplace Δ=d∗d+dd∗ operiert auf Ω1(S1;E)≅Ω0(S1;E) als -d2/dΘ2 mit Eigenfunktionen Θ→exp((n+a)iΘ), n∈ℤ. Die Berechnung von ζ1,O(s) (Notation wie in [13]) kann wie in [12] erfolgen. Für das dortige RS(ρa) ergibt sich jedoch log(|1-exp(2πia)|)=log(2sin(aπ)) (in [12] ist die Berechnung von RS(ρa) fehlerhaft: Im vorletzten Ausdruck ist ein Vorzeichenfehler und im letzten Ausdruck ein überflüssiges Quadrat). Das Quadrat tritt erst dann auf, wenn wir - wie in der Definition der analytischen Torsion in [13] - Vielfachheiten von Eigenwerten des Laplace-Operators als Operator auf reellen Hilberträumen zählen.
10. (Viktoria Rothe) Erste Eigenschaften der analytischen Torsion
Verschwinden von analytischer Torsion in gerader Dimension (Theorem 2.3 in [13] - die entsprechende Aussage für die Reidemeister-Franz-Torsion (für den Körper ℝ) folgt aus Theorem 3 in [8]) und Unabhängigkeit von der Wahl der Metrik (Theorem 2.1 in [13]).
Kombinatorische versus analytische Größen
11. (Michael Wiemeler) Kombinatorische versus glatte Hodge-Theorie I: Whitneyformen und Approximationssatz
In der Arbeit [5] geht es darum, glatte Formen durch simpliziale Formen zu approximieren, die bzgl. einer Triangulierung der Mannigfaltigkeit definiert sind. Dies erlaubt eine sehr natürliche Erklärung für Hodge-Theorie. Im ersten Vortrag sollen Whitneyformen eingeführt werden und ein vollständiger Beweis des Approximationssatzes 3.7 gegeben werden [5, Abschnitte 1-3]. Bei dieser Gelegenheit auch absolute und relative Randbedingungen für Formen erklären, vgl. [3, S. 271].
12. (Florian Hanisch) Kombinatorische versus glatte Hodge-Theorie II: Eigenwerte und ζ-Funktion
Im zweiten Teil wird gezeigt, dass die glatte Hodge-Zerlegung von Formen durch simpliziale approximiert wird (Theorem 4.9), dass die Eigenwerte des Hodge-Laplace-Operators approximiert werden (Theorem 5.7) wie auch die ζ-Funktion (Theorem 5.30) [5, Abschnitte 4-5].
13. (Christian Becker) Approximation der Green-Funktion und der Resolventen
Ziel ist der Beweis des Satzes 5.27 in [10]. Dabei kann auf die Resultate der beiden vorangegangenen Vorträge zurückgegriffen werden. Ansonsten die Abschätzungen ggfs. exemplarisch vorführen.
14. (Sara Azzali) Die kombinatorische Parametrix
Die Standardkonstruktion der Parametrix eines elliptischen Operators benutzt Pseudodifferentialoperatoren und ist im kombinatorischen Kontext nicht ohne Weiteres anwendbar. Die Konstruktion aus [10, Sec. 8] soll erklärt werden. Wichtig ist Theorem 8.44, dessen Beweis zumindest skizziert werden soll.
15. (Pavel Hajek) Unabhängigkeit von der Darstellung der Fundamentalgruppe
Abschnitt 9 in [10] soll erklärt werden, in dem gezeigt wird, dass der Quotient von kombinatorischer und analytischer Torsion nicht vom flachen Koeffizientenbündel abhängt. Damit ist ein erster Schritt in Richtung Gleichheit von kombinatorischer und analytischer Torsion vollzogen.
16. (Matthias Ludewig) Der Beweis des Cheeger-Müller-Theorems
Der Beweis wird nach Abschnitt 10 in [10] abgeschlossen.
Literatur:
[1] N. Berline, E. Getzler, M. Vergne, Heat Kernels and Dirac Operators, Springer Verlag 1992.
[2] G. E. Bredon, Topology and Geometry, Springer-Verlag 2002.
[3] J. Cheeger, Analytic torsion and the heat equation, Ann. Math. 109 (1979), 259-321.
[4] J. Davis, P. Kirk, Lecture Notes in Algebraic Topology, AMS 2001.
[5] J. Dodziuk, Finite-difference approach to the Hodge theory of harmonic forms, Amer. J. Math. 98 (1976), 79-104.
[6] J. Dodziuk, V. K. Patodi, Riemannian structures and triangulations of manifolds, J. Indian Math. Soc. 40 (1976), 1-52.
[7] J. Milnor, Two complexes which are homeomorphic but combinatorially distinct, Ann. Math. 74 (1961), 575-590.
[8] J. Milnor, A duality theorem for Reidemeister torsion, Ann. Math. 76 (1962), 137-147.
[9] J. Milnor, Whitehead torsion, Bull. Amer. Math. Soc. 72 (1966), 358-426.
[10] W. Müller, Analytic torsion and R-torsion of Riemannian manifolds, Adv. Math. 28 (1978), 233-305.
[11] J. Munkres, Elementary differential topology, Princeton University Press 1966.
[12] L. Nicolaescu, Notes on Reidemeister torsion, 2002.
[13] D. B. Ray, I. M. Singer, R-torsion and the Laplacian on Riemannian manifolds, Adv. Math. 7 (1971), 145-210.
[14] K. Reidemeister, Homotopieringe und Linsenräume, Math. Abh. Sem. Hamb. 11 (1935), 102-109.
[15] H. Seifert, Über das Geschlecht von Knoten, Math. Ann. 110 (1934), 571-592.
[16] J. H. C. Whitehead, On C1-complexes, Ann. Math. 41 (4) (1940), 809-824.
Das Blockseminar wurde unterstützt durch